Angesichts der Bedrohung, die ich – Florian Lamour – beim Thema „Klimakrise“ empfinde, wollte ich beginnen, mich mit Menschen aus meinem direkten, persönlichen Umfeld dazu auszutauschen. Mein Ansatz war, eine entlang persönlicher Beziehungslinien entstehende Austauschwelle zu starten, die von Person zu Person schließlich Bewusstsein und Handeln über den gesamten Globus aktivert. Ich stellte jedoch fest, dass es 2 wichtige Ebenen bei bedrohungsmotiviertem, kollektivem Handeln gibt: Die gemeinsame, immer wieder erneuerte Einschätzung einer potenziellen Bedrohungslage (mit allen Menschen, egal, welche Einschätzung sie zu diesem Thema haben) und die Ebene gemeinsamen Handelns und gegenseitiger Unterstützung (unter jenen Menschen, die Handlungsdruck empfinden). Um für mein Thema „Klimakrise“ kraftvoll vorwärts zu kommen, entwickelte ich die folgenden Gedanken und Konzepte. Sie können jedoch für alle Themen angewandt werden, zu denen Menschen Bedrohung und Handlungsdruck empfinden.
Hinweis: Die Gedanken und Konzepte sind nicht neu. Im Zweifel entstehen die im folgenden beschriebenen Dialoge und Vernetzungen organisch und von allein in menschlichen Gemeinschaften, in denen übergeordnete Schutzsysteme nicht vorhanden sind oder nicht mehr (für sie) funktionieren. Diese Organisation „an der Basis“ sind meiner Meinung nach letztlich die Erfolgsrezepte von erfolgreichen Strömungen und Bewegungen, die gemeinschaftlich vernetzt sind. Allerdings sind die folgenden Gedanken und Konzepte als Handlungsoption nicht immer allen Menschen bewusst und daher ein möglicherweise brachliegendes Potenzial.
Ebene 1: Dialoge gemeinsamer Einschätzung von Bedrohungslagen
Damit sich Gruppen, Gemeinschaften oder die Menschheit insgesamt vor Bedrohungen schützen können, ist es wichtig, dass ihre Mitglieder gemeinsam zu einer potenziellen Bedrohung reflektieren, sich informieren und gemeinsam untersuchen können, ob und in welchem Ausmaß eine Bedrohung besteht.
Ich gehe davon aus, dass Menschen dabei zwei grundlegende Interessen haben:
a) über eine mögliche Bedrohung von anderen informiert zu werden
b) bei möglicher, eigener Fehleinschätzung einer Bedrohung (sei es eine Über- oder Unterbewertung) ausreichend eindringlich, abholend und fürsorglich darauf hingewiesen zu werden.
Sollten diese Annahmen stimmen, ist jeder Menschen grundsätzlich zu einem gewissen Grad offen, Bedrohungslagen gemeinsam einzuschätzen.
In einer Situation, in der Schutzsysteme nicht vorhanden oder überfordert sind (z.B. politische Strukturen oder Warnsysteme), beginnen Menschen verstärkt, Dialoge zur gemeinsamen Einschätzung einer Bedrohungslage zu führen (ab jetzt Einschätzungs-Dialoge genannt) – meist mit vertrauten Menschen oder Menschen, die ebenfalls betroffen sein könnten. Einschätzungs-Dialoge können aktiv angestoßen werden, um die eigene Einschätzung mit den Perspektiven anderer Menschen anzureichern, zu bestätigen oder zu korrigieren, und um Menschen zu finden, die ähnlich empfinden. Einschätzungs-Dialoge sollten mindestens von Menschen angestoßen werden, die glauben eine Bedrohung erkannt zu haben. Einschätzungs-Dialoge dieser Art nutzen das Potenzial der Vernetzung, Informierung und Zusammenarbeit einer Gemeinschaft entlang bestehender Beziehungslinien oder bei potenziell gemeinsamer Betroffenheit. Ziel ist nicht, einander zu überzeugen, sondern eine Lage gemeinsam zu verstehen, die potenziell alle betrifft.
Einschätzungs-Dialoge als Format
Für einige Menschen sind die obigen Überlegungen bereits ausreichend, um Einschätzungs-Dialoge ganz natürlich zu einem eigenen Thema anzustoßen (z.B. im eigenen Umfeld). Anderen helfen ggf. die folgenden Gedanken und Kommunikationshilfen. Einschätzungs-Dialoge werden auf diese Weise eher zu einem Format:
Die Grundannahmen in Einschätzungs-Dialogen, die zu Effektivität & Authentizität beitragen können:
- Jeder Mensch kann sich irren.
- Jeder Mensch will ausreichend über mögliche Bedrohungen informiert sein.
- Jeder Mensch braucht Kommunikation, die verständlich ist und die eigene Realität respektiert – ohne Überforderung, Herabwürdigung oder Scham.
- Der Dialog ist nur tragfähig, wenn er Sicherheit und Selbstkorrektur ermöglicht – auf allen Seiten.
Ein möglicher Ablauf
Neben einer ganz freien Gestaltung des Dialogs, hilft einigen Menschen ein Ablaufvorschlag oder Teile daraus:
Einschätzungs-Dialoge können mit mehreren Fragen beginnen, die alle Teilnehmenden zunächst für sich beantworten. Der Dialog besteht aus dem Abgleich der Antworten miteinander und mündet in der Vereinbarung, eines nächsten gemeinsamen Schrittes oder der Feststellung, dass der Dialog nicht fortgesetzt wird (weil z.B. eine Person das nicht möchte). Der Dialog kann verteilt über mehrere Gespräche geschehen.
Mögliche Dialog-Fragen
- Gibt es eine Bedrohung aus deiner Sicht? Falls ja: Wie hoch schätzt du sie ein?
- Auf welchen Erfahrungen und Informationen beruht deine Einschätzung?
- Bei welchen Informationen bist du dir sicher, bei welchen unsicher?
- Was sollte aus deiner Sicht getan werden, um mit der Bedrohung umzugehen?
- Ist es eher sinnvoll für dich, in den Austausch mit Menschen einer eher anderen Einschätzung zu gehen – oder eher mit Menschen einer eher ähnlichen Einschätzung (denn jeder Dialog kostet ja Zeit & Energie)?
- Falls du in den Dialog mit Menschen gehen willst, die die Situation vielleicht anders einschätzen: Empfindest du ausreichend Offenheit in dir (Bist du z.B. bereit, neue Informationen für dich zu prüfen statt sie reaktiv abzulehnen, zu ignorieren oder abzuwerten)?
Alternative Nutzung der Dialog-Fragen
Die Fragen können auch allein zur Vorbereitung genutzt werden – etwa, wenn du mit anderen ins Gespräch gehen möchtest. Ein möglicher Einstieg:
„Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema XY und würde gern hören, wie ihr die Situation einschätzt. Wenn es euch lieber ist, teile ich auch gern zuerst meine Sicht.“
Das weitere Gespräch kann sich am Verlauf orientieren – die Leitfragen müssen dabei nicht schematisch abgearbeitet werden, können aber hilfreich bleiben.
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Empfehlungen für die Gesprächszufriedenheit aller
- Vereinbart, wer beginnt, die eigenen Antworten vorzustellen. Die anderen hören zu. Falls die Antworten sehr ausführlich sind, vereinbart einen Zeitrahmen für jede Person – auch wenn vielleicht zunächst nicht alle Informationen mitgeteilt werden können. Danach haben die anderen Personen Zeit, ihre Antworten zu teilen. Behaltet das Format über das gesamte Gespräch bei, wenn ihr das als hilfreich empfindet.
- Verzichtet zunächst auf Reaktionen. Stellt lieber Klärungsfragen, bevor ihr aufeinander eingeht. Eine starke Reaktion in dir kann Hinweis sein, dass du noch Fragen hast.
- Geht eher langsam und mit Pausen vor. Es ist jederzeit okay, den Dialog zu pausieren oder abzubrechen – ohne Schuld oder Druck. Das kann selbst ein Teil des Einschätzungsprozesses sein.
- Prüft gelegentlich: Sind wir dabei, eine mögliche Bedrohungslage gemeinsam einzuschätzen, oder ist es eher ein Gegeneinander im Gespräch? Prüft, wer noch Sinn am Dialog sieht und ob Stress oder Ängste aktiviert sind. Hinweis: „Recht haben wollen“ kann dazu führen, dass ihr eine Bedrohung überseht oder falsch einschätzt.
- Falls ihr Informationsquellen einseitig oder gegenseitig fragwürdig findet: Schlagt vor „Könnten wir uns darauf verständigen, eine Quelle zu suchen, die wir gemeinsam für halbwegs tragbar halten?“ oder „Wollen wir uns darauf einigen, eine Aussage (vorerst) offen zu lassen, weil wir sie nicht gemeinsam prüfen können?“
- Führt diesen Dialog nur, wenn ihr innere Offenheit spürt. Wenn ihr euch vor allem zum Überzeugen hingezogen fühlt oder starke Angst spürt: Sprecht zuerst mit einer vertrauten Person, die euch zuhört und euch Stabilität geben kann. Es braucht innere Offenheit für den Weg einer gemeinsamen Einschätzung.
Ebene 2) Vernetzungsketten für gemeinsames Handeln & gegenseitige Unterstützung
Wird gemeinsam eine Bedrohung empfunden, entsteht Interesse, gemeinsam zu handeln und sich gegenseitig zu unterstützen.
Die Idee der Vernetzungsketten hat zum Ansatz, dass sich betroffen fühlende Menschen miteinander in Kontakt & Austausch stehen – mit Menschen aus dem eigenen Umfeld und zusätzlich darüber hinaus. Vor allem entlang bestehender Beziehungslinien entsteht weitläufige Vernetzung, die keine übergeordnete Organisation braucht, und für die Einzelperson in der jeweils stimmigen Weise ins eigene Leben eingebaut werden kann. Übergeordnete Organisation (z.B. von Dialogräumen) kann eine zusätzliche Stütze des eigenen Handelns sein. Einschätzungs-Dialoge sollten parallel fortgeführt werden. Informationen über neue Einschätzungen der Bedrohungslage, interessante Handlungsoptionen sowie bereits erfolgreiche Handlungsweisen führen über die Vernetzung möglicherweise ausreichend schnell zu Stärkung der Resilienz der Gesamtgemeinschaft.
Empfohlene Dialogfragen
Folgende Fragen können eurem regelmäßigen Vernetzungs-Dialog helfen:
- „Wir geht’s dir zur Zeit mit der Situation?“
- Falls die Person den Ansatz der Vernetzungskette als sinnvoll ansieht: „Wie läuft’s bei der Vernetzung mit deinem Umfeld?“
- Falls die Person weitere Handlungen als sinnvoll ansieht: „Wie läuft’s bei den Handlungen, die du angegangen bist?“
- „Brauchst du Unterstützung?“
(Finde für dich passende Formulierungen.)
Vernetzungskette „Dekarbonisierung“
Für mein Thema „Klimakrise“ habe ich die Vernetzungskette „Dekarbonisierung“ ins Leben gerufen. Bei Interesse, klicke hier.